Start >Presse> Artikel
Tanz den Sokrates
"Sofies Welt" als Musical auf der Bühne des Mühlehofes
Sofie ist fünfzehn und bekommt rätselhafte Briefe von einem Fremden. Sie beschäftigen sich mit Fragen wie: "Woraus besteht die Welt?" und "Wer bist du?" oder kurz: mit Philosophie. Das ist der Ausgangspunkt für den Erfolgsroman "Sofies Welt" des norwegischen Autors und Philosophielehrers Jostein Gaarder und auch der für das gleichnamige Musical seines Landsmannes Øystein Wiik, das als Gastspiel im Mühlehof Mühlacker zu sehen war.
Die Briefe, ein Video vom Marktplatz in Athen, ein nächtliches Treffen in einer Kapelle und andere Auflüge mit ihrem geheimnisvollen Philosophielehrer Alberto Knox nehmen Sofie mit auf eine Reise durch die Geschichte der Philosophie von ihren Anfängen bei den Vorsokratikern bis zur Gegenwart. Was im Buch eine Reise des Denkens ist, das wird auf der Bühne zur wilden Achterbahnfahrt und zum Bombardement mit schwer zu verarbeitenden Sinneseindrücken. Wer weder in Philosophie bewandert ist noch das Buch vorher gelesen hat, der hat Schwierigkeiten die hingeworfenen Zitate und Anspielungen richtig zu deuten. Das Musical, in dem der Librettist Øystein Wiik selbst die Hauptrolle des Philosophen Alberto Knox und Sanni Luis die Sophie spielt, wird so eher zur Illustration des Buches als zu seiner angemessenen Umsetzung.
So finden sich einige gelungene aber auch weniger überzeugende Ideen in der Inszenierung. Die uns nur bruchstückhaft überlieferten Vorsokratiker als aus der Mauer ragende Kahl- und Kohlkopfe darzustellen ist witzig und passend. Aus der eigentlich ganz akzeptabeln Mutter von Sophie eine manische Gouvernante im Business Kostüm zu machen und aus der etwas kindlichen Freundin Jorunn einen hormonüberschäumenden hyperaktiven Gummiball, das ist zwar unterhaltsam, aber hat mit dem Buch wenig zu tun. Die Liste der problematischen Entscheidungen wäre fast beliebig zu verlängern und führt zur Frage: Hat man sich da zu viel oder das Falsche vorgenommen? Was bleibt übrig, wenn man versucht, den Sokrates zu tanzen? Das Musiktheater hat seine Stärken sicher nicht bei der Erklärung von Gedanken sondern bei der Darstellung von Gefühlen und an dieser Stelle funktioniert die Handlung von "Sofies Welt" auch auf der Bühne. Denn unterstützt von Alberto Knox findet Sofie heraus, dass sie nur eine Figur in einem Roman ist, den der im Libanon stationierte UN-Major Knag für seien Tochter Hilde schreibt. Die philosophische Frage, ob wir nur Marionetten einer höheren Macht sind oder trotz unserer Beschränkung frei sei können, wird sowohl für Sophie, die sich mit Alberto aus dem Roman befreien will, als auch für Hilde, die sich nichts sehnlicher wünscht, als dass dies Sophie gelingen möge, zur Herzensangelegenheit: Sie kommen über das Denken zum Wunsch nach Freiheit und zur Befreiung. Und das passt nun sehr gut ins Musical und ist gelungen umgesetzt. "Mein Sohn hat das Buch, das werde ich mir jetzt mal ausleihen.", meint mein Nebensitzer. Genau. Und viel Spaß auf der Reise durch das Denken zur Freiheit.
Copyright (c) 2002 by Oliver Gassner (http://oliver-gassner.de). This material may be distributed only subject to the terms and conditions set forth in the Open Publication License, v1.0 or later (the latest version is presently available at http://www.opencontent.org/openpub/). Distribution of substantively modified versions of this document is prohibited without the explicit permission of the copyright holder. Distribution of the work or derivative of the work in any standard (paper) book form is prohibited unless prior permission is obtained from the copyright holder.
Copyright / © Oliver Gassner, 2002ff -- presse@carpe.com
