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"Gedichte übersetzen, wie geht das?", fragte sich das Team der alle zwei Jahre stattfindenden Frauenfelder Lyriktage. Die Moderatoren Jochen Kelter und Beat Brechbühl, die Organisatorin Elke Bergmann und Brigitte Conrad von der "Kulturstiftung des Kantons Thurgau" nutzen seit sechs Jahren die Zeiten zwischen den Lyriktagen, um dieser Frage nachzugehen: Bei "Poeten übersetzen Poeten" im Bodman-Literaturhaus in Gottlieben treffen Lyrikerinnen und Lyriker ihre Übersetzerinnen und Übersetzer, um gemeinsam und mit fachkundigem Publikum an den Texten zu arbeiten. "Wir sind davon überzeugt," erklärt der Verleger und Lyriker Beat Brechbühl bei der Begrüssung, "dass vor allem jene Gedichte übersetzen sollten, die sich damit auskennen wie Gedichte gebaut sind und entstehen. Also von Leuten, die selbst Gedichte schreiben."
Concha García aus Barcelona und ihr Übersetzer, der auf Teneriffa geborene und in Luzern lebende Lyriker und Übersetzer Hans Leopold Davi sind die erste Paarung. Er hat es nicht leicht: Das Spanische ermöglicht einen Satzbau, der im Deutschen nur umständlich wiederzugeben ist oder der gar offen lässt, ob von Menschen oder Dingen, Männern oder Frauen die Rede ist. Davis freie und deutende Übersetzung führt im Publikum zu Verwirrung. Schülerinnen aus der Kantonsschule Heerbrugg erheben gelegentlich Einspruch. Eine von ihren ist zweisprachig und kann nicht immer nachvollziehen, was der Profi aus den spanischen Sätzen macht.
Geht es darum, Texte möglichst originalgetreu in eine andere Sprache zu übersetzen? Oder muss man "Mitdichter" sein und in den Text eingreifen? Und wie viel Rücksicht muss man auf unpassende Nebenbedeutungen nehmen, wenn das Wort "aussondern" die anwesenden Deutschen an die KZ-Wortwahl der Nationalsozialisten erinnert? "Übersetzt man den Reimklang oder die Bedeutung?" Diese Frage bestimmt den zweiten Workshop am Freitag Nachmittag: Der italienische Dichter Franco Buffoni gibt sogar eine Zeitschrift zur literarischen Übersetzung heraus. Ihn übersetzt die seit zehn Jahren in Rom lebende Münchnerin Susanne Lippert. "Er will, dass ich viel freier übersetze. Das steht mir aber nicht zu. Er hat einen Ruf als Lyriker und kann sich so etwas bei seinen Übersetzungen ins Italienische erlauben." In einer Strophe beispielsweise wird der grosse Abstand betont zwischen "la morte" und einem "signore". Nun ist der Tod im Original weiblich und aus dem Herrn müsste in einer Sprache, in der "Tod" männlich ist, folglich eine Frau werden - oder gar ein Mädchen, um auf das bekannte mittelalterliche Bildmotiv anzuspielen. "Ich würde das machen.", ermutigt der Autor seine Übersetzerin. Aber sie ziert sich. "Ich erzähle mal, wie ich auf Martine Bellen gekommen bin.". Hans Jürgen Balmes fühlt sich der amerikanischen Lyrikerin verwandt. Er hatte bei einem Internetbuchhändler amerikanische Übersetzungen japanischer Lyrik erworben und die Werbe-Automatik hatte ihn darauf hingewiesen, dass die Käufer dieser Bücher auch Leser von Martine Bellens Gedichten seien. "Als dann noch ein Gedicht von ihr in einem Buch über meinen Lieblingskünstler Joseph Cornell enthalten war, wusste ich: Das ist Schicksal."
"Hier ist die Übersetzung der Reime gut gelungen.", bestätigt Moderator Jochen Kelter. "Reime müssen einem überraschen, sonst sind sie Mist.", Hans Jürgen Balmes wird recht deutlich, wenn im etwas wichtig ist.
In ein Gedicht über den Collagekünstler Cornell streut Martine Bellen französischer Begriffe ein, so wie es Cornell in seinen Bildern tat. Das muss natürlich unübersetzt bleiben. Und was anfangen mit dem Begriff 'swastika', der im Englischen zwar auch das Hakenkreuz der Nazis bezeichnet, hier aber lediglich das altindische Sonnenradsymbol meint? Swastika stehen lassen? Sonnenrad schreiben, meint das Publikum Balmes, der beim deutschen Fischer Verlag für das Literaturprogramm verantwortlich zeichnet, will sich nicht nur aushorchen lassen und fragt die anderen Übersetzer: "Warum übersetzt ihr? Warum übersetzt ihr Lyrik?" Susanne Lippert bekennt sich der Kleptomanie schuldig: Nach ihrer ersten Übersetzung sei ihr erst bei den Diskussionen mit dem Autor klar geworden, dass das nicht ihre Texte seien. Balmes steuert eine Anekdote bei: Ein Übersetzer habe gesagt, das Übersetzen sei die Chance wundervolle Gedichte zu schreiben, die man selbst nie geschrieben hätte, weil man nicht gut genug sei. Für Hans Leopold Davi ist es die Faszination mit einem Text und seiner Sprache, die ihn dazu reizt, ein Gedicht auch anderen zugänglich zu machen.
"Das beste ist, wenn ich selbst von dem überrascht bin, was mir gelungen ist." So bringt Hans Jürgen Balmes seine Faszination mit dem Übersetzen auf den Punkt. Martine Bellen ergänzt: "Mir geht es genauso so mit den Gedichten. Oft erstaunt mich, dass sie von mir sind. Die Texte gehen über mich hinaus." Lyrik zu übersetzen, das führt offenbar zu einem tief gehenden Verständnis zwischen Menschen - und das Lesen übersetzter Lyrik ist ganz sicher ein Prozess der Völkerverständigung. Bei der abendlichen Lesung aller Beteiligten am Samstag hat dann über eine Stunde lang die Lyrik allein das Wort. Concha García macht den Anfang mit ihren verrätselten Studien eines verletzten und sich sehnenden Ichs. Lösungen bietet sie nicht, doch die Entwicklungen von Psyche und Wahrnehmung verdichten sich mal in konventionellen Naturbildern mal in surrealistischen Kompositionen. Franco Buffoni stellt seinen Lyrikband "Die Karmeliternonne" vor. In diesem "Bildungsroman in Versen" verarbeitet er neben der eignen Biographie auch Passagen über seine im Kloster lebenden Tante oder über eine an AIDS sterbende Prostituierte.
Interkulturalität versucht Martine Bellen bereits in ihren Originaltexten umzusetzen: In den "Griechischen Gedichten" verwendet sie Heraklit -Zitate bei der Beschreibung manchmal sehr amerikatypischer Gegebenheiten oder sie setzt Techniken der europäischen Avantgarde ein.
Im Oktober werden die Übersetzer die Schlussfassungen beim "Verlag im Waldgut" in Frauenfeld abgeben, im Februar 2003 sind die drei zweisprachigen Lyrikbändchen fertig.
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