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"Ein Verbrechen lässt sich immer finden", versichert der Staatsanwalt dem Angeklagten. Alfredo Traps lacht und nimmt den alten Mann nicht erst. In Friedrich Dürrenmatts "Die Panne" (1956) wird ein Spiel gespielt: Vier alte Herren, ein Richter, ein Staatsanwalt, ein Anwalt und ein Henker - alle pensioniert - spielen bei ihren hochalkoholischen Herrenabenden gerne "Gericht" und freuen sich, wenn sie dazu einen Gast haben. Die Hamburger Tournee-Truppe von Manfred Greve (Inszenierung und "Richter Wut") hat den Text, der bei Dürrenmatt als Erzählung und Hörspiel vorliegt, auf die Bühne des Mühlehofs in Mühlacker gebracht.
Anfangs noch sträubt sich das Stück gegen das Theater, es will Nichts so recht geschehen, die Geschichte, die Dürrenmatt fürs Erzählen oder Zuhören geeignet fand, gibt für die Augen wenig her. Dem Staatsanwalt Zorn (Reinhard von Hacht), der Anfangs kaum im Einsatz ist, bleibt nur ein Sonnyboy-Lächeln, das er auch nach der Pause, wo er mehr und ernsthafteres zu tun hat, nicht verliert. Die Enkelin des Richters (als Justine: Isabella Wolf) darf die Femme fatale geben, ihre Tante (Simone: Eva-Maria Lahl) himmelt zwar den schmucken Textilvertreter Traps mit den Augen an, bleibt aber sonst auf ihre Rolle als Serviertochter beschränkt, die in einem etwas arg germanischen Französisch die konsumierten Spitzenweine ansagt.
Solange Alfredo Traps (Thomas Höhne), der nach einer Autopanne im Landhaus des Richters einquartiert wird, sich in Sicherheit wiegt und das Spiel nicht ernst nimmt, bleibt auch er eher der farblose und oberflächliche Schönling. Nur kurz darf er Angst bekommen, dann muss er alle Hemmungen in Alkohol ertränken und hat dann nach der Pause die schwere Aufgabe, einen Volltrunkenen zu spielen, dem aufgeht, dass er für den Tod seines Chefs verantwortlich ist. Ja, er will für den Tod seines Chefs büßen, weil er ihn durch eine Affäre mit dessen Frau und eine gezielte Indiskretion in den Herzinfarkt getrieben hat.
Auf ein wiederholtes "Aufpassen, aufpassen." muss sich zunächst Rechtsanwalt Kummer (Rainer Delventhal) beschränken, bis sein Plädoyer im zweiten Teil enthüllt, dass nicht nur das Umfeld des Angeklagten genau so verderbt war, wie jener selbst, sondern dass auch die anwesenden Rechtspfleger ihren Wohlstand durch Bestechungsgelder errungen haben. Eine typisch Dürrenmattsche Randfigur ist Henker Pilet, herrlich skurril gespielt von Hans-Jürgen Gründling. Obwohl sie auf Dialogfetzen wie "Feiiin." und den wiederholten Ausruf "Korken!" beschränkt ist, ist diese Figur am ehesten geeignet, auf der Bühne zu wirken, eben weil sie, nicht wie die anderen, so viel zu reden und zu erklären hat.
Neben Traps darf sich nur eine weitere Figur halbwegs entwickeln: Justine von Fuhr wird von der bauchnabelfreien lustigen Witwe zur Gattenmörderin, die Traps erst dann wirklich haben will, als er sich zu seinem Mord bekennt: Denn erst jetzt ist er ihr würdig.
Insgesamt bearbeitet Dürrenmatt in der "Panne" das Thema, das ihn bis ans Lebensende verfolgen wird: Schafft es die Justiz, die wirklich Schuldigen zu bestrafen? Und bleiben die Unschuldigen wirklich verschont? Die Antwort in der "Panne" ist: Die Welt um uns herum ist so verderbt, dass wir durch das Leben in ihr schon genug bestraft sind. Und die schlechte Welt lässt uns gar keine andere Wahl als notwendigerweise alle schuldig zu werden. So sind wir alle schuldig und unschuldig zugleich. Der Richter im Stück spricht passend dazu Traps zunächst schuldig und verurteilt ihn zum Tode, danach sprecht er ihn frei. Alfredo Traps kommt sich selbst erst wertvoll vor, als er "das Verbrechen des Jahrhunderts" glaubt begangen zu haben und richtet sich selbst.
Ob man bedauern oder loben soll, dass das Stück auf jegliche Aktualisierung des Themas - sei es Mannesmann-Manager Esser, Milosevich oder Saddam -verzichtet hat, ist offen; aber etwas mehr wagen hätte man auf der Bühne schon dürfen - Slapstick-Einlagen allein genügen nicht. Bildtexte:
43: Nach der Doppel-"Panne": Der Gast ist eingesargt, der Richter (M. Greve) und seine Enkelin (Isabella Wolf) warten auf die Polizei. Schwarzer Humor a la Friedrich Dürrenmatt im Mühlehof. [text in Abwandlung auch für Bild 37]
57: Die Richter sprechen zwei Urteile aus: Todesstrafe und Freispruch, wählen muss schon der Angeklagte (Thomas Höhne). Gerechtigkeit ist kompliziert in Friedrich Dürrenmatts "Die Panne" im Mühlehof.
55: Bitte recht freundlich: Das Privat-Gericht und der Angeklagte (Thomas Höhne, unten Mitte) posieren zum Erinnerungsfoto. Gerechtigkeit ist kompliziert in Friedrich Dürrenmatts "Die Panne" im Mühlehof.
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