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Nasenknacks bei Heimatfest

Gerichtspuzzle um eine gebrochene Sachsenheimer Nase - Kaum zwei Zeugen sehen das selbe - Verfahren gegen Geldspende eingestellt

Ein 1000-Teile-Puzzle um eine gebrochene Nase hatte das Amtsgericht Vaihingen zu verhandeln. 17 Zeugen waren geladen und nahezu jeder einzelne von ihnen hatte etwas anderes gesehen.

Aber zuerst zum Unstrittigen: Kurz vor Mitternacht zwischen dem 2. und 3. Juni 2000 kam es vor der Sparkasse in Großsachsenheim beim Heimatfest zu einem Streitgespräch zwischen einem angetrunkenen Festbesucher und einem türkischen jungen Mann. Der Angetrunkene wollte offenbar Streit provozieren. Als ein zweiter junger Türke dazutrat und sich erkundigte, was los sei, griff der Angetrunkene mit einem Kopfstoß den Dazugetretenen an und erhielt als Quittung einen Faustschlag ins Gesicht. Seine Nase blutete, blieb aber ganz. Die seines Gegenübers war auch ungeknickt.

Die gebrochene Nase hatte ein Freund des Festbesuchers, der diesen aus der Rangelei zurückhalten wollte. Und genau der Frage, wer wann Heinz T. (allen Namen geändert) die Nase gebrochen hat, spürte das Gericht nach.

Metin Ö. kann sich nicht erklären, warum er auf der Anklagebank sitzt. Er habe niemanden geschlagen. Er sei bereits auf dem Heimweg gewesen und habe im Auto gesessen, als man ihn alarmiert habe, sein Bruder werde angegriffen. Er habe dann einen Mann aus dem Gerangel gezogen und sei daraufhin von Heinz T. von der Seite angegriffen worden. Er habe dessen Hände weggeschlagen, sei dann von hinten geschubst worden und als sich noch weitere Menschen drohend auf ihn zu bewegt hätten, habe er in Panik die Flucht ergriffen. "Herr T. und sein Freund waren ziemlich betrunken, die haben die ganze Zeit Leute provoziert auf dem Fest.", erklärt er.

Heinz T. hat nicht gesehen, wer ihm die Nase gebrochen hat, er lag am Boden, weil er versucht hatte, seinen streitsüchtigen Freund zu stoppen. Als er auf allen Vieren stand, habe er plötzlich einen Tritt im Gesicht gespürt. Nasenbein gebrochen, Nasenscheidewand gebrochen, Notarzt, Operation und eine Woche im Krankenhaus seien die Folgen gewesen. Im Zivilverfahren habe man sich bereits auf 2500 Euro Schmerzensgeld geeinigt, für ihn sei die Sache damit eigentlich erledigt gewesen. "Das war ein Vergleich, kein Schuldeingeständnis.", stellt der Verteidiger von Metin Ö. klar.

Das waren nun zwei Versionen der Geschichte, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen sollten und zu erwarten wäre, dass die einen Zeugen das eine gesehen haben und die anderen das andere. Doch weit gefehlt. Die Frauen der beiden "Stürzenden" sahen diese fallen, eine hat zwar jemanden treten sehen, kann diesen aber nicht als Metin Ö. identifizieren, die andere sah auch keinen Fußtritt und Metin Ö. schon gar nicht. Während die Tochter von Heinz T. Metins Bruder aus der Rangelei gezogen hat und ein Stück heimbegleitet haben will, sah Herr M. nicht nur zweifelsfrei Metin Ö. sondern auch dessen Bruder auf Heinz T. eintreten. "Das hat kein anderer Zeuge gesehen.", bohrt der Verteidiger nach. Herr M. ist sich ganz sicher. "Ich stand keine fünf Meter davon weg. Das kann ich alles beeiden." Er ist auch der einzige Zeuge, der Metin Ö. überhaupt als Tretenden erkannt haben will. Andere hingegen standen in der Nähe und sahen niemanden am Boden liegen. Und schon gar keinen treten.

Zu einem skurrilen Effekt führte eine relativ spät durchgeführte "Lichtbildgegenüberstellung". Erst im Februar 2002 wurden zwei Zeugen eine Reihe von Fotos vorgelegt, auf denen sich auch der Täter aus dem Jahr 2000 befinden soll. Beide weisen auf das Foto Nummer 4, das Metin Ö. zeigt, und ergänzen, dass sie den jungen Mann bereits bei der Zivilgerichtsverhandlung als Beklagten gesehen haben. Das freut den Verteidiger, denn nach der Ermittlungspanne sind diese Aussagen wertlos. Auch in anderen Punkten gehen die Aussagen auseinander. Heinz T.s Tochter will knapp eine Viertelstunde nach den Vorfällen mit Metin Ö. gesprochen haben - ob vor dessen Haus oder am Brunnen bleibt auch strittig - dort soll er erzählt haben, dass er einen am Boden liegenden Mann getreten habe. Metin Ö. und ein Bekannter jedoch versichern, sie seinen nach dem Schock über die Auseinandersetzung eine Stunde lang im Auto herumgefahren: nach Ludwigsburg und zurück.

Je nach dem, welchen Zeugen man glauben will, stellt sich die Sachlage anders dar. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hält es für klar erwiesen, dass der Angeklagte eine Nase zermatscht hat und fordert für eine gefährliche Köperverletzung 2500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung und ein Jahr Freiheitsstrafe auf drei Jahre zur Bewährung, denn Metin Ö. hat eine komplett weiße Weste: keine Vorstrafen. Freispruch müsse das Urteil lauten. Klar erwiesen sei gar nichts und das müsse zu Gunsten seines Mandaten ausgelegt werden. Die Zeugen teilten sich in ein "rumänienstämmiges" und in ein türkisches Lager, doch selbst die Zeugen der Anklage seien stellenweise nicht glaubwürdig.

Plötzlich taucht ein neues Thema auf: Gefährliche Körperverletzung wäre es nur, wenn es sich um schwere Schuhe gehandelt hat. Leichte Stoff- oder Turnschuhe gelten nicht als "gefährlicher Gegenstand" - oder zumindest entzweit diese Frage die Rechtsgelehrten. Richter Hiller tritt nochmals in die Zeugenvernehmung ein. Im Lager des Angeklagten ist man sich sicher: Es waren die damals modischen leichten Stoffturnschuhe mit dicker aber leichter Sohle. Der Zeuge des Staatsanwalts, der bei der Polizei noch von schweren Schuhen gesprochen hatte, muss Unkenntnis in Modefragen zugeben und kann nicht mehr ausschließen, dass es in der Tat leichte Schuhe waren. So wird aus der "gefährlichen Köperverletzung" (6 Monate bis 10 Jahre) eine "vorsätzliche Körperverletzung" (3 Monate bis 5 Jahre) und der Verteidiger schlägt angesichts der konfusen Zeugenaussagen die Einstellung des Verfahrens vor. Bei 800 Euro Spende an den JederMann e.V. (Männer und Jungenarbeit gegen Männergewalt) haben da weder der Vertreter der Staatsanwaltschaft noch der Angeklagte Einwände.

"Es tut mir in der Seele, weh, wenn ich euch jetzt beim Schreiben unterbrechen muss." Imre Török (stehend, rechts) von Schriftstellerverband Baden Württemberg beim Schreibworkshop mit Schülerinnen und Schülern im Stuttgarter Schriftstellerhaus.


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