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Was tut ein Massenautor, wenn er das Ende nahe fühlt? Er besinnt sich auf die hohe Literatur, mit mehr oder weniger Erfolg.
,,The Novel" (Der Roman), so nennt James A. Michener (*1905) sein bisher letzes Buch. Daß der deutsche Verlag daraus ,,Dresden, Pennsylvania" macht, ist allein aus Marketingüberlegungen heraus verständlich.
Die in diesem Landstrich lebenden Mennoniten hat sich Lukas Yoder, Massenautor und selbst Mennonit, zum Gegenstand seiner Romane ausgewählt. Der neue Roman, es soll Yoders letzer sein, ist gerade fertiggestellt und wird zu Yvonne Marmelle, alias Shirley Marmelstein und New-Yorker Jüdin, der Lektorin des Autors geschickt. Karl Streibert, noch ein Mennonit und (wie Michener) Universitätslehrer für ,,Kreatives Schreiben", fand Yoders Romane immer schon nichtssagend. Auch dann wenn Yoder Streiberts College-Abteilung Millionen spendet. Geldgeberin des Colleges ist auch die Millionärswitwe Jane Garland, Großmutter eines vielversprechenden jungen Autors, der am Ende des Romans sinnloser- und überflüssigerweise ermordet wird.
Wir erhalten Einblicke in die Mechanismen des US-Verlagsgeschäftes und erfahren, daß Bestsellerautoren ab dem fünfzigsten Jahr Mittagsschläfchen halten. Wir lernen auch, daß Menschen, die wirklich verstehen, was Literatur ist, wie Streibert und Yvonnes Lebesgefährte, den Hang zum Homosexuellen und Suizidalen haben. Wir erfahren, daß Büchermachen Handwerk ist und eine Sache des Engagements, und wir lernen, daß es böse ist, wenn deutsche Investoren einen amerikanischen Verlag aufkaufen.
Dämlich und reaktionär sind Micheners moralinsauern Exkurse zur ,,Kunst als Diskurs der Eliten". Dümmlich wirkt Michener, wenn er ganz postmodern über elektronisch gespeicherte und übetragene Texte philosophiert: ,,[Der Buchstabe M wird übertragen] als digitalisierte Darstellung des Konzepts m-heit."
Schade nur, daß weder die Verfasser des Klappentextes den über 500 Seiten starken Roman gelesen haben, den sie falsch zusammenfassen, noch die deutschen Lektoren sich soviel Mühe mit Büchern machen, wie Yoders Lektorin. Daß zum Beispiel ,,role model" auf Deutsch ,,Vorbild" bedeutet, und daß es kein deutsches Wort gibt, das ,,Rollenmodell" heißt, wäre sonst vielleicht aufgefallen.
Multiperspektivisch muß der moderne Roman sein, erkennt Yoder selbst am Schluß. Nur scheitert Michener genau dort, wo es gilt, Innensichten der Figuren darzustellen: Streibers alljährliche homoerotische Sommerferien in Griechenland (wo sonst?) mit einem Cambridge-Professor bleiben flach, verkopft und sonnenuntergangsromantisch. Kunst-Kastraten sind Streibert und der Vietnamveteran, dämonisierte Intellektuelle, denn Romane schreiben können beide nicht.
Autor Lukas Yoder muß Vermittlungsfigur spielen, muß sich von konventionell erzählenen Saulus zum experimentellen Paulus wandeln, muß erdverbunden die modernen Ideen von Streibert umsetzen in einen allerletzen Roman. Ob Michener verstanden hat, was ,,experimentell" ist, läßt sich bei Betrachung der einmontierten Zitate aus einem fiktiven experimentellen Roman nur bezweifeln.
Das Positive? Bitte: Die schönen Illustrationen und der bei Großauflagen günstige Preis.
James A. Michener: ,,Dresden, Pennsylvania". Lübbe, Bergisch Gladbach. 543 Seiten.
(Oliver Gassner)
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