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Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre - Perspektiven literarischer Anthropologie

Spielzug: Theorie-Offensive

Es ist nicht abzuleugnen, die Literatur, und mit ihr die Literaturwissenschaft, kämpfen ein Rückzugsgefecht. Kulturell, weil kaum mehr gelesen wird, wirtschaftlich, weil Kochbücher besser ,,gehen" als Weltliteratur, wissenschaftspolitisch, weil Techno- und Geldwissenschaften die Geisteswissenschaften als Renommeeobjekt der Universitäten abgelöst haben. Die 68'er haben dann auch das Ende der schönen Literatur verkündet, ohne Erfolg jedoch: die Menschen lesen weiter. Medienkonkurrenz sorgt dafür, daß einige Funktionen der Literatur von anderen Medien übernommen werden: Weltflucht und Entspannung finden Menschen im Videospiel, im Kino und im Fernsehen. Die Frage bleibt jedoch: Warum wird Literatur gelesen, warum geschrieben? Dieser Frage auf den Grund zu gehen ist Ziel von Isers Studie zur anthropologischen Begründung von Literatur. Jenseits der literaturwissenschaftlichen und philosophischen Modeströmungen, aber durchaus in Kontakt mit ihnen, legt der emeritierte Konstanzer Anglistikprofessor einen neuen Grundstein für diese Diskussion. Einen Grundstein, der auch dem unter den Fittichen der Konstanzer Literaturwissenschaft geründeten Forschungszentrum ,,Fiktionale Texte in anthropologischer Perspektive" Basisdokument ist. Nicht nur in der Spannung zwischen Realität und Fiktion sieht Iser den literarischen Text. In der von ihm vorgeschlagenen spieltheoretischen Wechselwirkung kommt auch dem Begriff des "Imaginären" eine zentrale Rolle zu. Fiktiv ist die Lüge, real die Welt, Imaginäres findet sich in Traum, Tagtraum und Halluzination. Ist es so einfach? Kaum. Auch "reale" Weltmodelle (beispielsweise Religionen und Ideologien) enthalten fiktive Anteile, fiktionale Texte ihrerseits sind ohne den Rahmen des Realen undenkbar. Das unbewußte Imaginäre seinerseits wird erst in der ,,kontrollierten" Fiktion für den Menschen verfügbar und somit Gegenstand von Nachdenken und Kommunikation. Im lesenden und denkenden Nachvollzug, in der Lektüre fiktionaler Texte, werden menschliche, gesellschaftliche und philosophische Probleme darstellbar, die sich anderen Diskursen - dem wissenschaftlichen beispielsweise - entziehen. ,,Grenzüberschreitung" oder ,,Ekstase" nennt Iser dieses Phänomen, bei dem die Literatur uns Perspektiven auf unser Sein und Denken zur Verfügung stellt, die wir in keinem anderen Medium finden können. Daß dem Text kein eindeutiger Sinn mehr zuzuschreiben ist, das ist in einer solchen Betrachtungsweise weder der Fehler des Interpreten noch der des Textes. Interpretation, diese Leseweise mit theologischem Urgrund, wird hier zum Nebenschauplatz der Bemühung um literarische Texte. An diesem ,,Iser" fasziniert, was auch seine anderen Hauptwerke (,,Der Implizite Leser", ,,Der Akt des Lesens") auszeichnet: Die wohlüberlegte Leichtigkeit mit der Iser überkommene Denkweisen, nicht selten lediglich im Nebensatz, über Bord wirft und die Tiefe, die manche Sätze, trotz oder wegen ihrer terminologischen Kargheit haben. Störend wirkt, was Iser immer tat und auch hier tut: Er wird metaphorisch, wenn Begrifflichkeiten nur schwer zu fassen vermögen, was er meinen will und schlägt dann beispielsweise vor ,,das Fiktive im fiktionalen Text einzukreisen" oder ,,visiert Gegenwärtiges aus Abwesendem". Schwammig und unpräzise wirken diese und andere Metaphern in einem sonst so kontrolliert und methodisch angelegten Text. go

Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre - Perspektiven literarischer Anthropologie", Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M.; 360S. ,64,-DM

(Oliver Gassner)


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