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von Oliver Gassner
"In den 25 Jahren, die ich in Stuttgart gelebt habe, habe ich mich als deutsche Autorin gefühlt. Als 1989 die Wiedervereinigung kam, nannte man mich plötzlich wieder eine ungarische Autorin im deutschen Exil." Im Kulturinstitut der Republik Ungarn berichtet Zsuzsanna Gahse von ihrem Werdegang, vom letzen und vom nächsten Buch. 1956 floh sie zehnjährig mit ihren Eltern vor den politischen Ereignissen in Ungarn über Wien nach Kassel und landete schließlich in Stuttgart.
Ungarn spielt in allen ihren Büchern eine große Rolle "Mit zehn Jahren empfindet man nicht wenig. Ich habe zwar die Ereignisse von 56 selbst noch nicht literarisch verarbeitet, aber ich weiß das noch genau." Zsuzsanna Gahse bezeichnet sich selbst als Transmigrantin, als Durchwandernde: Nachdem sie die längste Zeit ihres Lebens in Stuttgart gelebt hat, wohnt sie nun auf dem Schweizer Bodenseerücken. In einem Haus nahe der Straße, nahe der Thur. "Ostwest - Müllheim an der Thur" heißt ihr aktuelles Buchprojekt: Die Durchreisende schreibt über das Durchreisen der andren. Die Dorfstraße wird zur heimatlichen Donau, die Hügel werden zum Schauplatz kommunikationsverwirrter Szenen zwischen den im Mittelalter dort einfallenden ungarischen Reitern und den milch-und-honig-gesichtigen Schweizern.
Ein Slalomlauf um die Tücken der Sprache ist das Schreiben zwischen zwei Kulturen. Zwischen den 60-ern und den 80-ern hatte Zsuzsanna Gahse kaum Kontakt zur ungarischen Kultur. Ihre eigene literarische Arbeit auf Deutsch und der Kontakt mit Helmut Heißenbüttel in Stuttgart 1978 führten über die von ihm angeregte Beschäftigung mit der aktuellen ungarischen Literatur und zum Übersetzen. "Ich bin zu einer Beobachterin der ungarischen Sprache geworden.", erklärt Gahse. Und sie versuche beispielsweise die große Rolle, die Adjektive im Ungarischen spielen für ihr Schreiben auf Deutsch fruchtbar zu machen.
Die Gratwanderung zwischen den Kulturen führt zu einer ganz eigenen Umgangsweise mit Themen und Motiven. In ihrem letzten Roman "Nichts ist wie oder: Rosa kehrt nicht zurück" durchleuchtet Zsuzsanna Gahse die Beziehung eines Mutter-Tochter-Paares nach Jahren des Exils. Eine Reise der Tochter nach Ungarn ist weder eine Ursprungssuche noch ein Urlaub sondern eine Extremsituation, die eine besondere Aufmerksamkeit auch auf das kleinste Detail der Umgebung erfordert. Zsuzsanna Gahse erschreibt sich, wie eben auch im aktuellen Müllheim-Projekt, ihren Aufenthaltsort. Jeder Wohnort wird zur Station, die es in der Sprache festzuhalten gilt, die nur auf dem Papier Dauer erringt. "Obwohl ich immer über Ungarn schreibe, werde ich nicht ins Ungarische übersetzt.", beklagt sich die Autorin, die ihrerseits fleißig Peter Esterhazy und andere Ungarn ins Deutsche bringt. Die Exilliteratur im Gefolge von 1956 werde auch heute noch ausgegrenzt. "Man darf halt nicht fliehen.", resigniert Zsuzsanna Gahse.
Doch ein Zuhause gibt es: Das ungarische Kulturinstitut in der Haußmannstraße, über den Dächern von Stuttgart. Da trifft sie die einzigen Menschen, die sie mit ihrem ungarischen Kosenamen anreden dürfen, den kein Deutscher in den Mund nehmen darf und der auch hier nicht verraten wird.
Nächste Lesung von Zsuzsanna Gahse in Stuttgart: Niedlichs Lesevergnügungsgesellschaft, Theater im Depot, Landhausstraße, 16. Februar 2003, 11.15 Uhr
Abgedruckte Fassung/Stuttgarter Zeitung, 17.1.2003:
Im Exil - oder immer auf der Durchreise
Die Autorin Zsuzsanna Gahse spricht über die Gratwanderung zwischen Ungarn und Deutschland
Von Oliver Gassner
"In den 25 Jahren, die ich in Stuttgart gelebt habe, habe ich mich als deutsche Autorin gefühlt. Als 1989 die Wiedervereinigung kam, nannte man mich plötzlich wieder eine ungarische Autorin im deutschen Exil." Im ungarischen Kulturinstitut berichtet Zsuzsanna Gahse von ihrem Werdegang, von ihrem letzten und ihrem nächsten Buch. 1956 floh sie zehnjährig mit ihren Eltern vor den politischen Ereignissen in Ungarn über Wien nach Kassel und landete in Stuttgart.
Ungarn spielt in allen ihren Büchern eine große Rolle. "Mit zehn Jahren empfindet man nicht wenig. Ich habe zwar die Ereignisse von 1956 selbst noch nicht literarisch verarbeitet, aber ich weiß das noch genau." Gahse bezeichnet sich selbst als Transmigrantin, als Durchwandernde: Nachdem sie die längste Zeit ihres Lebens in Stuttgart gelebt hat, wohnt sie in der Schweiz unweit des Flüsschens Thur. "Ostwest - Müllheim an der Thur" heißt daher ihr aktuelles Buchprojekt: Die Durchreisende schreibt über das Durchreisen der anderen. Die Dorfstraße wird zur heimatlichen Donau, die umgebenden Hügel werden zum Schauplatz kommunikationsverwirrter Szenen zwischen den im Mittelalter eingefallenen ungarischen Reitern und den milchundhoniggesichtigen Schweizern.
Ein Slalomlauf um die Tücken der Sprache ist das Schreiben zwischen zwei Kulturen. Lange hatte Gahse kaum Kontakt zur Kultur ihrer Heimat. Der Kontakt mit Helmut Heißenbüttel in Stuttgart 1978, der sie zur Beschäftigung mit der aktuellen ungarischen Literatur anregte, brachte sie bald auch zum Übersetzen. "Ich bin zu einer Beobachterin der ungarischen Sprache geworden", erklärt Gahse nun. Und sie versuche beispielsweise, die große Rolle, die Adjektive im Ungarischen spielen, für ihr Schreiben auf Deutsch fruchtbar zu machen.
Diese Gratwanderung zwischen den Kulturen führt zu einer ganz eigenen Art des Umgangs mit Themen und Motiven. In ihrem letzten Roman "Nichts ist wie oder: Rosa kehrt nicht zurück" durchleuchtet Gahse eine Mutter-Tochter-Beziehung nach Jahren des Exils. Eine Reise der Tochter nach Ungarn ist weder eine Suche nach dem Ursprung noch ein Urlaub, sondern eine Extremsituation, die eine besondere Aufmerksamkeit auch auf das kleinste Detail der Umgebung erfordert.
Gahse erschreibt sich, wie eben auch im aktuellen Müllheim-Projekt, ihren Aufenthaltsort. Jeder Wohnort wird zur Station, die es in der Sprache festzuhalten gilt, die nur auf dem Papier Dauer erringt. "Obwohl ich immer über Ungarn schreibe, werde ich nicht ins Ungarische übersetzt", sagt die Autorin und Übersetzerin. Die Exilliteratur im Gefolge von 1956 werde auch heute noch ausgegrenzt. "Man darf halt nicht fliehen", resigniert Gahse. Doch ein Zuhause gibt es: das ungarische Kulturinstitut in der Haußmannstraße. Da trifft sie die einzigen Menschen, die sie mit ihrem ungarischen Kosenamen anreden dürfen, den kein Deutscher in den Mund nehmen darf - auch hier nicht.
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