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"Die Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf für Internet-Inhalte entsprechen in etwa dem Einrichten eines Störsenders gegen Feindradio", erklärt der Medienkünstler und diplomierte Kommunikationsdesigner Alvar Freude aus Stuttgart-Wangen. "Und weil ich einer ihrer Hauptkritiker bin, versuchen sie mich jetzt mit einer Strafanzeige in die rechte Ecke zu stellen und so zu diskreditieren."
Die Bezirksregierung Düsseldorf und ihr Regierungspräsident Jürgen Büssow sind in Nordrhein-Westfalen zuständig für die Medienaufsicht. Als sie bemerkten, dass rechtsradikale Inhalte auf Internet-Servern in den USA liegen, die sich damit der deutschen Justiz entziehen, sannen sie auf einen anderen Weg, um diese Inhalte zu kontrollieren. Sie verpflichteten Provider in ihrem Bundesland, diese Inhalte den Internet-Nutzern nicht zum Abruf zur Verfügung zu stellen. Manche Provider wehrten sich juristisch, weil sie diese Eingriffe als Zensurmaßnahme werteten - erfolglos.
Gegen die Büssow'schen Sperrungsverfügungen setzt sich eine ganze Reihe Organisationen ein, die nicht im Verdacht der Rechtslastigkeit stehen: Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG), der Chaos Computer Club e.V. , der "Virtuelle SPD Ortsverein", der Bundesverband Grüne Jugend und andere.
Alvar Freude nun hat nicht nur diese "DAVID" (Deutsche Arbeitsgemeinschaft zur Verteidigung der Informationsfreiheit in Datennetzen) getaufte Initiativen gegen die Sperrungsverfügungen koordiniert und deren Arbeit dokumentiert, er dokumentiert auch in Wort und Ton die Begründungen und manchmal fragwürdigen Sachaussagen der Bezirksregierung zu dem Fall.
Den Regierungspräsidenten und solche Provider, die ohne Sperrverfügung Webseiten und E-Mail gesperrt haben, hat Alvar Freude in der Vergangenheit wegen Nötigung und Informationsunterdrückung angezeigt: Die Staatsanwaltschaft hat allerdings keine Strafverfahren eröffnet.
Inzwischen liegen bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart zwei Anzeigen gegen Alvar Freude vor, eine davon von der Bezirksregierung, eine von einem Internet-Dienstleister in Düsseldorf: Gewaltdarstellung, Zugänglichmachung von volksverhetzenden Inhalten und Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Nur der letzte Punkt ist noch Gegenstand der Ermittlungen des Staatsanwalts. Auf Alvar Freudes Webseiten selbst finden sich allerdings weder Hakenkreuze noch Hitlerbilder. Auf dem von ihm erstellten "Freedomfone" wird angeboten, dass, so der Internetzugang gefiltert sei, wie "beispielsweise bereits in Nordrhein-Westfalen oder in China", man ihm gerne die Webseite vorlese, so er eine 0190-Nummer anrufe und 1,24 Euro pro Minute bezahle. Und genau dort fanden sich Weblinks zu amerikanischen Webseiten wie "Stormfront" oder den Angeboten des einschlägig bekannten Gary Lauck (NSDAP/AO), aber auch zu vielen anderen Webseiten, die, so Freude "irgend jemand nicht gefallen könnten", unter anderem zu nizkor.org, einem Website über den Holocaust und gegen Rassismus. "Freedomfone ist ganz klar als Satire zu erkennen", erklärt Thomas Stadler, der Anwalt von Alvar Freude.
Entgegen der Behauptung von Mitgliedern der Bezirksregierung habe er niemals solche Seiten am Telefon vorgelesen, erklärt Freude, es habe zwar Anrufe von Neugierigen gegeben, die hätten aber - wohl die Satire erkennend - niemals das Vorlesen entsprechender Inhalte gefordert. Auch auf der Dokumentations-Website odem.org finden sich Links zu den Nazi-Seiten, gegen odem.org liegt aber keine Anzeige vor. Denn hier ist klar der aufklärerische Zusammenhang erkennbar. Das hat auch den Berliner Journalisten Burkhard Schröder gerettet: Er hatte ebenfalls auf seinem Website im Rahmen von Aufklärungsmaterial über die Aktivitäten von Rechtsradikalen eine Linksammlung zu Nazi-Inhalten online gestellt: Der Berliner Staatsanwalt stellte das Verfahren ein.
Auch für den ermittelnden Stuttgarter Staatsanwalt Milionis scheinen die Informationen, die offen im Internet stehen, für eine Meinungsbildung ausreichend zu sein, denn der Anregung des Landeskriminalamtes zu einer Hausdurchsuchung folgte die Staatsanwaltschaft nicht. Dennoch enthält sein Schreiben an Alvar Freude einen bedenklichen Satz: "Ich erlaube mir bereits jetzt darauf hinzuweisen, dass angesichts der Massierung der strafbaren Seiten aus verschiedenen Bereichen über die angestrebte, hier übliche Freiheitsstrafe hinaus die Beantragung der Einziehung der Tatmittel sowie ein Berufsverbot im Raume stehen." "Schon die Kosten für einen eventuellen Prozess selbst oder eine Hausdurchsuchung, bei der die Computer hier beschlagnahmt werden, gefährden meine Möglichkeit, Geld zu verdienen", erklärt Alvar Freude.
Der Stuttgarter Pressestaatsanwalt Eckhard Maak relativiert den drohenden Satz seines Kollegen Milionis, man könne erst dann Näheres zur Basis eines Berufsverbots oder einer Beschlagnahmung von Computern sagen, wenn das Ermittlungsverfahren und der Prozess abgeschlossen sind. Die Ermittlungen aber seien noch im Gange. "Ich kann mir nicht vorstellen, was da noch ermittelt wird", wundert sich Freudes Anwalt. An sich sei der Fall klar und das Verfahren hätte längst eingestellt sein müssen. Die Anzeige vermittle zudem den fälschlichen Eindruck, Alvar Freude sei für die Inhalte der amerikanischen Seiten verantwortlich. Dass sie das glauben haben auch schon Jürgen Schütte, Chef der Medienaufsicht NRW bei der Bezirksregierung in Düsseldorf, und sein Vorgesetzter Büssow in Gesprächen verlauten lassen.
In den Kreisen von odem.org und anderen Initiativen für Informationsfreiheit wie dem "Virtuellen SPD-Ortsverein" jedenfalls gibt es niemanden, der Alvar Freude rechtsradikale Neigungen unterstellt. Das liegt auch ziemlich fern: Im Rahmen des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft der Vereinten Nationen (WSIS) beteiligt sich Freude am "Koordinationskreis der deutsche Zivilgesellschaft" unter dem Dach der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung. Er sei, so Freude, definitiv dafür, dass Naziseiten und andere kriminelle Inhalte im dem Internet an ihrer Wurzel bekämpft werden müssen., dennoch sei es der falsche Weg auf der Seite der Empfänger der Daten anzusetzen. Denn das Wegschauen löse das Problem nicht und vermittle dem Bürger einen falschen Eindruck von den Gefahren.
Seit 1999 schon beschäftigt sich Alvar Freude genau mit denjenigen technischen Möglichkeiten, die die Bezirksregierung Düsseldorf jetzt einsetzt, auf künstlerische Weise: In seiner gemeinsam mit Dragan Espenschied an der Merz-Akademie eingereichten Arbeit "insert_coin" behandelt er eine Manipulation am Internetsystem der Akademie: Alle Web-Verbindungen wurden durch ein Programm geleitet, das beispielsweise jede Namensnennung von "Gerhard Schröder" durch "Helmut Kohl" ersetzte; und das ohne das Wissen der EDV-Abteilung der Akademie. Freude und Espenschied wollten überprüfen, ob die Empfänger der manipulierten Information in irgend einer Weise aufbegehren würden. Sie taten es nicht. Für "insert_coin" erhielten die beiden Netzkünstler 2001 den "Internationalen Medienkunstpreis" des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) und des Südwestfunks (SWR). Bereits 1999 bekamen beide für ihr Projekt "Assoziationsblaster" den Internet-Literaturpreis der Stadt Ettlingen und von EnBW. 2001 wurde ihr Projekt "OmniCleaner" bei der Linzer "Ars Electronica" ausgestellt, auch das eine Satire auf die Träume der Netzregulierer. "Wenn es nach denen ginge, würde nur noch Mickey Mouse übrigbleiben", befürchtet Freude.
Online-Bürgerrechtler vermuten hinter der Anzeige eine Strategie, Alvar Freude mit dem Prozess beschäftigt zu halten oder zu diskreditieren und ihn so als Kritiker der Bezirksregierung auszuschalten. "Herr Freude ist für uns vollkommen unwichtig", betont .... der Pressesprecher der Bezirksregierung, macht aber dennoch deutlich, dass man sich belästigt fühle: "Herr Freude hat hier vor dem Haus sogar eine Demonstration veranstaltet." Man habe keine Inhaber anderer Web-Anbieter angezeigt, die auf Naziseiten linkten und man sei sich auch bewusst, dass die nordrhein-westfälischen Kunden sperrender Provider trotz der Links die Nazi-Seiten nicht sehen könnten.
Alvar Freude auszugrenzen scheint schon zu funktionieren: "Ein großer Verband von Providern will nicht mit mir reden, denn Vertreter der Bezirksregierung Düsseldorf haben derart absurde Gerüchte über mich gestreut, dass man lieber Abstand von mir hält." Auch die Server, auf denen die beanstandeten Informationen liegen müssen demnächst umziehen, denn das ZKM Karlsruhe, bei denen der Server untergestellt ist, wünscht eine Verlegung - allerdings aus technischen Gründen, wie es von dort heißt.
http://www.david-gegen-goliath.org/
http://www.odem.org/
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