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"Dann bleibt nur noch die Mickey Mouse"

Nazi-Vorwürfe, Ermittlungsverfahren und drohender Prozess gegen den Stuttgarter Online-Bürgerrechtler und Netzkünstler Alvar Freude

Von Oliver Gassner

"Die Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf für Internet-Inhalte entsprechen in etwa dem Einrichten eines Störsenders gegen Feindradio", erklärt der Medienkünstler und diplomierte Kommunikationsdesigner Alvar Freude aus Stuttgart-Wangen. "Und weil ich einer ihrer Hauptkritiker bin, versuchen sie mich jetzt mit einer Strafanzeige in die rechte Ecke zu stellen und so zu diskreditieren."

Bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart liegen zwei Anzeigen gegen Alvar Freude vor, eine davon von der Bezirksregierung, eine von einem Internet-Dienstleister in Düsseldorf: Gewaltdarstellung, Zugänglichmachung von volksverhetzenden Inhalten und Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Nur der letzte Punkt ist noch Gegenstand der Ermittlungen des Stuttgarter Staatsanwalts Milionis.

Auf Alvar Freudes Webseiten selbst finden sich allerdings weder Hakenkreuze noch Hitlerbilder. In dem von ihm erstellten Website "Freedomfone" wird angeboten, dass, so der Internetzugang gefiltert sei, wie "beispielsweise bereits in Nordrhein-Westfalen oder in China", man gerne die Webseite vorlese, so man eine 0190-Nummer anrufe und 1,24 Euro pro Minute bezahle - ein Service der laut Freude bisher noch nie in Anspruch genommen wurde. Und genau auf "Freedomfone" fanden sich Weblinks zu amerikanischen Webseiten wie "Stormfront" oder den Angeboten des einschlägig bekannten Gary Lauck (NSDAP/AO), aber auch zu vielen anderen Webseiten, die, so Freude, "irgend jemand nicht gefallen könnten". Darunter war auch "nizkor.org", ein Website über den Holocaust und gegen Rassismus. In einer Stellungnahme gegenüber der Staatsanwaltschaft bezeichnete Freudes Anwalt Thomas Stadler das Angebot, Webseiten am Telefon vorzulesen, als so absurd, dass einem durchschnittlich aufmerksamen Internetnutzer die Satire förmlich ins Gesicht springe.

Seit 1999 schon beschäftigt sich Alvar Freude als Künstler genau mit denjenigen Manipulations-Möglichkeiten von Netzinhalten, die die Bezirksregierung Düsseldorf jetzt einsetzt. In seiner gemeinsam mit Dragan Espenschied an der Stuttgarter Merz-Akademie als Diplomarbeit eingereichten Aktion "insert_coin" behandelt er eine Manipulation am Internetsystem seiner Ausbildungsstätte: Alle Web-Verbindungen wurden durch ein Programm geleitet, das beispielsweise jede Namensnennung von "Gerhard Schröder" durch "Helmut Kohl" ersetzte; und das ohne das Wissen der EDV-Abteilung. Freude und Espenschied wollten überprüfen, ob die Empfänger der manipulierten Information in irgend einer Weise aufbegehren würden. Sie taten es nicht. Für "insert_coin" erhielten die zwei Netzkünstler 2001 den "Internationalen Medienkunstpreis" des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) und des Südwestfunks (SWR). Bereits 1999 bekamen beide für ihr Text-Projekt "Assoziationsblaster" den Internet-Literaturpreis der Stadt Ettlingen und von EnBW. 2001 wurde ihr Projekt "OmniCleaner" bei der Linzer "Ars Electronica" ausgestellt, auch das eine Satire auf die Träume der Netzregulierer. "Wenn es nach denen ginge, würde nur noch Mickey Mouse übrigbleiben", befürchtet Freude.

Gegen die Büssow'schen Sperrungsverfügungen setzt sich eine ganze Reihe von Initiativen ein und Alvar Freude koordiniert und dokumentiert deren Zusammenarbeit unter dem Dach von DAVID (Deutsche Arbeitsgemeinschaft zur Verteidigung der Informationsfreiheit in Datennetzen). Er macht zudem in Wort und Ton die Begründungen und manchmal fragwürdigen Sachaussagen der Bezirksregierung zu dem Fall zugänglich.

Ein Naziverdacht gegen Freude wirkt absurd: Er kooperiert bei seinen Unternehmungen als Online-Bürgerrechtler vor allem mit Organisationen links von der Mitte: beispielsweise mit der Grünen-Jugend, der Heinrich-Böll Stiftung und dem "Virtuellen SPD-Ortsverein". Freude betont, er sei dafür, dass Naziseiten und andere kriminelle Inhalte im dem Internet durch Zugriff auf die Verursacher bekämpft werden, dennoch sei es der falsche Weg auf der Seite der Empfänger der Daten anzusetzen. Dieses Wegschauen löse das Problem nicht und vermittle dem Bürger einen falschen Eindruck von den Gefahren.

Online-Bürgerrechtler vermuten hinter der Anzeige eine Strategie, Alvar Freude mit dem Prozess beschäftigt zu halten oder zu diskreditieren und ihn so als Kritiker der Bezirksregierung auszuschalten. Denn dort weiß man sehr wohl, dass trotz der Links von Alvar Freude in Nordrhein-Westfalen die gesperrten Seiten nicht zugänglich sind. Alvar Freude sei für sie vollkommen unwichtig, betont der Pressesprecher der Bezirksregierung, macht aber deutlich, dass man sich belästigt fühlt: "Herr Freude hat hier vor dem Haus sogar eine Demonstration veranstaltet."

Die Anzeige jedenfalls gefährdet den Lebensunterhalt des freiberuflichen Internetentwicklers Alvar Freude. Beinahe hätte ihm eine Hausdurchsuchung mit Beschlagnahme aller Computer in seiner Wohnung gedroht, doch die Staatsanwaltschaft sah keinen Grund dafür: Es sei alles im Netz recherchierbar und es lägen ausreichend Erkenntnisse vor. Ein Schreiben der Staatsanwaltschaft enthält dennoch den brisanten Hinweis, dass Freude auch mit der "Einziehung der Tatmittel" und einem Berufsverbot rechnen müsse. "Schon die Kosten für einen eventuellen Prozess würden meine finanziellen Möglichkeiten übersteigen und ohne Computer kann ich kein Geld verdienen", sagt Alvar Freude.

Der Stuttgarter Pressestaatsanwalt Eckhard Maak relativiert die Drohung seines Kollegen Milionis: Man könne erst dann Näheres zur Basis eines Berufsverbots oder einer Beschlagnahmung von Computern sagen, wenn das Ermittlungsverfahren und der Prozess abgeschlossen sind. Die Ermittlungen aber seien noch im Gange.

Alvar Freude auszugrenzen allerdings scheint schon zu funktionieren: "Ein großer Verband von Providern will nicht mit mir reden, denn Vertreter der Bezirksregierung Düsseldorf haben derart absurde Gerüchte über mich gestreut, dass man lieber Abstand von mir hält."

http://www.david-gegen-goliath.org/


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